<back
<HOME

ZWEI PRÄKOGNITIVE BILDER

von Laszlo Kerekes (1999 - 2001.)

(Laszlo Kerekes - Second Hand)

Ausschnitt aus dem Interview von Iris Elhanani (Tel Aviv) mit Laszlo Kerekes,

März 2002 / Berlin / Ateliergespräch

Videodokument (60 Min.) / Aufgenommen im Auftrag des Israelischen Fernsehens

ELHANANI:Was war ursprünglich hier an diesem Ort, der jetzt dein Atelier ist?

KEREKES: In vergangenen Zeiten hat sich hier eine große Bäckerei befunden. Man kann noch die Reste des Backofens sehen. Im Keller gab es damals einen Tunnel, der in den Laden im Vorderhaus führte. Vor dem Zweiten Weltkrieg bzw. vor dem späteren Mauerbau muss diese Gegend sehr belebt gewesen sein. Aber die Zeit der von hier etwa 500 Meter entfernt gelegenen Berliner Mauer hat das ihre getan.

ELHANANI:Auf welcher Seite sind wir? Sind wir im ehemaligen Ostberlin?

KEREKES: Nein. Im Gegenteil. Meine Straße lag in einer toten Ecke von Westberlin. In der Nachbarschaft gab es keinen Checkpoint, keinen Übergang. Als ich zum ersten Mal nach Westberlin kam, war ich gerade in diesem Teil Neuköllns und Kreuzbergs zu Gast. Deshalb sind meine ersten Berliner Erinnerungen mit diesem Abschnitt der Mauer verbunden.

ELHANANI:Von woher bist du nach Berlin gekommen? Und wann?

KEREKES: Ich bin aus Exjugoslawien - wenn ich das noch immer so sagen kann. Von dort bin ich gezwungen worden wegzugehen, in Folge der nationalistischen Machtübernahme im Jahr 1988. Ich bin aus der Stadt Novi Sad gekommen, die später während des NATO-Luftkriegs gegen Jugoslawien heftig bombardiert worden ist. Diese multiethnische Stadt liegt an der Donau. Alle drei Brücken sind zerstört. Zum Glück musste ich schon am Anfang weg ... In Berlin habe ich sofort neue Freunde gefunden und es ist nun schon zehn Jahre, dass diese Werkstatt mein Zuhause ist. Hier arbeite und wohne ich. Dies ist gleichzeitig mein Büro und mein Lager.

ELHANANI:Welches sind die wichtigsten Bereiche deiner Arbeit?

KEREKES: Im Laufe der Zeit war ich an unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen interessiert. Ich bin manchmal Maler, manchmal aber auch Performer oder Medienkünstler. Im letzten Jahrzehnt war ich jedoch hauptsächlich Installationskünstler. In diesem Sinne dient meine Werkstatt als Ort, in dem ich die Elemente meiner Installationen gesammelt habe.

ELHANANI:Du behauptest, dass du auf diese Weise einen existentiellen Zustand arrangiert hast, in dem man nichts Wertvolles oder Nutzbares findet ...

KEREKES: Früher, als ich noch an etwas materiell Bedeutendes glauben konnte, ist immer etwas Unerwartetes in meinem Leben passiert. Da habe ich mich als Erstes von materiellen Dingen getrennt. Später hat mir gerade die Erfahrung des Balkankrieges unter anderem auch gezeigt, wie man in wenigen Minuten alles verliert, in das man sein ganzes Leben investiert hat. Mit Hilfe dieses Bewusstseins habe ich dann die Sklaverei der materiellen Werte überwunden. Und da sich mein Leben in Berlin sowieso im Sinne des Provisoriums und der Improvisation entwickelt hat, existieren in meiner Werkstatt ausschließlich solche Gegenstände, die mit meiner Arbeit verbunden sind.

ELHANANI:Bist du dadurch stärker geworden oder ist nur dein Freiraum größer geworden?

KEREKES: Dieser Umstand ist vor allem als eine Dimension meiner Unabhängigkeit zu verstehen, weil die bei mir gesammelten Objekte kaum einen Wert haben. Bzw. nur insoweit, dass sie durch einige spontane kreative Ideen Teil meiner Sammlung geworden sind, und manchmal merkwürdige Energien tragen. Die Fundstücke erzählen nämlich nicht nur über ihre Produktionszeiten, ihre Ursprünge oder über die Geschichten ihres Benutzens, denn bevor sie letztendlich Kunstwerke geworden sind, waren sie Eigentum für mich unbekannter Menschen. Und wer weiß, was passiert ist mit diesen wer weiß was für Menschen. In allen gefundenen Gegenständen haben die Geister ihrer Benutzer Spuren hinterlassen. Oft fühlt man, dass die Objekte sehr schlechte Kräfte ausstrahlen. Wenn ich sie z. B. in manchen Nebenstraßen dieser Metropole zwischen dem Müll der Baucontainer finde, fällt mir zuerst ihre Form oder ihr Zustand auf. Die Gegenstände sagen immer etwas Wichtiges über die Vergangenheit aus, die man auf die Gegenwart oder auf die Zukunft projizieren kann. Es gibt einen Zusammenhang zwischen derartig spezifisch definierten Kräften, ihren Zeichen und der Imagination, die wieder aus der Realitätserfahrung kommt.

ELHANANI:Ist der Prozess des Sammelns für dich inspirativ? Bei dir sieht man viele Fotoalben. Wie weit sind die wichtig für deine Arbeit?

KEREKES: Diese Fotoalben sind natürlich mit meinem künstlerischen Schaffen verbunden. In diesem Sinne liebe ich vor allem Alben, mit Vorgeschichten, die vielleicht hinausgeworfenen oder gestorbenen Menschen ohne Verwandten angehörten. Oder Fotos, die vom Dachboden oder Keller in den Müllcontainern landeten. Wenn ich interessante Gegenstände finde, geben sie mir intensive Ideen, aber dann werden sie oft auch bei mir vergessen und es passiert mit ihnen einfach nichts. Zur Zeit versuche ich gerade solche mehrfach zwecklos gewordenen Objekte loszuwerden. Letztendlich haben sie auch bei mir nicht einen "ewigen Wert". Mit der Vergänglichkeit der Gegenstände ist es ähnlich wie mit der Vergänglichkeit der Kunst; und ich gehöre zu den Künstlern, die immer auf den aktuellen Moment der Gegenwart konzentriert sind.

ELHANANI:Was ist das Wesentliche in deiner Arbeit? Einige Künstler schaffen aus "innerem Zwang", andere wollen "etwas sagen" etc. Für mich sind die Arbeiten die wichtigsten, die auf einer universellen Ebene fähig sind, den Dialog zwischen dem Bewusstsein des Publikums und den Ideen, die in ihnen definiert sind, auszulösen. Zum Beispiel deine Bilder mit den Titeln "World Wide Travel" oder "Plain Air" finde ich sehr interessant.

KEREKES:Meine Arbeiten haben auch eine Art Ästhetik; aber für mich macht die Produktion solcher Kunstwerke, die nur ihrem Selbstzweck dienen, überhaupt keinen Sinn. Deshalb - vor allem aus der Perspektive des Fluxus, der mich am Anfang meines künstlerischen Schaffens beeinflusst hat - bezieht sich meine Arbeit organisch auf die Realität. Mit anderen Worten: Sie kommt aus der Realität, deren Codes sich aber ständig ändern. In Folge dieses Prozesses sind die Arbeiten auch immer unterschiedlich. Nur die gleiche Logik meiner "Handschrift" kann man in ihnen klar erkennen. Das System der Elemente in meinen Arbeiten ist durch die Methode der Wiederverwertung und Wiederverarbeitung aufgebaut (Recycling Memory). Sodass ihre Konstellation durch eine Rückkopplung auf die Zukunft reflektieren kann, während die Zukunft der laufenden Realität am Ende nie nach unseren persönlichen und kollektiven Vorstellungen oder Einbildungen entwickelt wird.

ELHANANI:Trotzdem, es scheint möglich, dass der Künstler auch etwas

von der Zukunft auf die Gegenwart projizieren kann. In diesem Kontext finde ich die visionäre Kraft deiner Arbeit in Bezug auf den 11. September als etwas Besonderes...

KEREKES: Es gibt Künstler, die eine Art Sinn haben für die indirekte Vorahnung der Zukunft. Diese Fähigkeit ist aber nicht das Gleiche wie Wahrsagen, obwohl es nicht zu den Disziplinen gehört, die man lernen kann: Sie kommt aus einer Mischung rationaler Wahrnehmung der Relationen in der Realität, komplexem Denken und Intuition. Deshalb habe ich auch keine Visionen, die als Botschaften lesbar sind, aber es ist schon öfter passiert, dass in einigen meiner Arbeiten die "Reflexion der Zukunft" erschien. Die Antwort auf dieses Phänomen muss man im fundamentalen Wesen und der Rolle der Kunst suchen: In den Epochen der Frühzeit der Zivilisation und der Kulturen gab es keine ausgebildeten Kunstschaffenden, sondern der Schamane war gleichzeitig auch der Künstler. Das Bild, das dir aufgefallen ist, habe ich nur zwei Wochen vor den Ereignissen des 11. September improvisiert, während ich für meine kommende Installation im spanischen Zaragoza mit Laserpointern experimentiert habe. Vor der Reise habe ich ein kleines Treffen für meine Freunde im Atelier organisiert, wo ich diese Arbeit gezeigt habe. Jemand konnte kommentieren: "Wer fliegt, malt Flugzeuge."

ELHANANI:Und deiner Meinung nach? Warum ist auf dem Bild gerade ein Flugzeug zu sehen?

KEREKES: Auf diese Frage kann ich leider keine eindeutige Antwort geben. Es war ein ähnliches Zeichen wie in meiner Arbeit "Plain Air", die vor dem unerwarteten NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999 entstanden ist ...

ELHANANI:In beiden Bildern sieht man die gleiche menschliche Figur.

KEREKES:Ja. Diese Figur ist meine eigene und stammt aus meinem programmatischen Projekt mit dem Titel "Falsche Landschaften". Das Motiv ist die graphische Reduktion von einem Foto des Projekts. Es ist wahrscheinlich nicht Zufall, dass dies auch in meinem präkognitiven Bild in Zusammenhang mit dem 11. September enthalten ist ... In Zaragoza habe ich danach im Fernsehen in einem Café die Aktion gegen New York und Washington verfolgt. Zu diesem einmaligen Fernsehnachmittag wurden die Passanten von der Straße eingesammelt, da gerade etwas Außergewöhnliches passiere ...

Deutsche Bearbeitung Martina Panzner

© Laszlo Kerekes